TLDR: Fiktion als »Safe Space« für marginalisierte Heranwachsende und unsere Verantwortung als Medienschaffende und »Medienfiguren«.

Ach so, ich hab ja auch noch eine Website! Den folgenden Text verfasste ich für Facebook, aber da er mir für dort fast zu schade schien und ich nicht wollte, dass er im Grundrauschen untergeht oder der Beliebigkeit zum Opfer fällt, wollte ich ihn an gesonderter Stelle herausstellen. Dies scheint mir der geeignete Ort zu sein.
Lose Gedanken aus gegebenem, aber unspezifischem Anlass:
Als LGBTQ-Teenager wächst du in einer feindseligen Welt auf, die dich wissen lässt, dass du nicht okay bist und die dich lehrt, dich vor dir selbst zu ekeln. Viele von uns haben die Alltagshomophobie, die wir als Kinder und Jugendliche erfahren haben, internalisiert und gelernt, sie unbewusst, aber autoaggressiv gegen uns selbst zu richten. Es ist ein ständiger Kampf gegen Minderwertigkeitskomplex und Depression, den einige ihr Leben lang in sich tragen und ausfechten. Ich zähle mich dazu.
Obiges schreibe ich ohne Bitterkeit – dies ist kein Mimimi, keine Abrechnung und kein Vorwurf, nur das neutrale Konstatieren eines Umstands. Unser Umfeld hat uns zu dem gemacht, was wir sind, im Guten wie im Schlechten.
»Safe Spaces« sind wichtig. Ich denke, was mich als Jugendlichem, wie viele andere, vor dem Aufgeben bewahrt hat, waren Rückzugsorte, an denen ich mich sicher fühlen konnte. Orte, zu denen ich kontrollieren konnte, wer Zutritt erhält und wer nicht. In meinem speziellen Fall war der wichtigste der Raum hinter meiner Stirn. Meine Phantasie und die zeitweise Flucht in fiktive Welten haben mich durch Momente gerettet, an denen ich andernfalls verzweifelt wäre.
Nicht alle dieser Welten habe ich selbst erschaffen. Die meisten entstammten Serien, Filmen oder Büchern. Die Figuren dieser Werke – und ihre Schöpfer gleichermaßen – waren Freunde, Beschützer, Heldenfiguren. Vor ihnen musste ich mich nicht dafür verantworten, dass ich nicht so war, wie andere es erwarteten. Sie akzeptierten mich, wie ich war – denn zu diesem Zweck hatte ich sie in meinem Kopf erschaffen. Ich würde den realen Menschen hinter diesen Geschichten nie begegnen, also konnte ich sie in meiner Phantasie so sein lassen, wie sie sein mussten, damit ich mich in ihrer Nähe sicher fühlen konnte.
Die Realität sieht natürlich anders aus. Heute bin ich selbst ein solcher »Macher« und weiß, dass Fans eine ebensolche Kunstfigur in mir sehen wie ich einst in meinen Helden. Ich weiß, dass es ein Anspruch ist, dem mein wahres Ich nie gerecht werden kann – ein unperfekter Mensch, den ein unperfektes Umfeld geformt hat. Das beste, was ich tun kann, ist, ihre Illusion nicht zu zerstören – und die bestmögliche Version dieses Kerls zu projizieren, die ich sein kann.
Es ist im Grunde wie mit meinen Romanen. Die Figur Ben Calvin Hary ist ein Kunstprodukt, eine Performance – das bin nicht ich. Ich verkörpere sie, doch sie gehört mir nicht. Sie hat das zu sein, was die Fans in ihr sehen wollen. Und das ist in Ordnung so. Das ist das, was meine Helden für mich getan haben und was ich nun anderen zurückgeben kann.
Denn ich weiß auch, wie es sich anfühlt, wenn man erfährt, dass die Heldenfigur eben nicht makellos ist, sondern unperfekt. Bestenfalls stellt sich der verehrte Promi im Gespräch mit Fans als Rüpel heraus. Schlimmstenfalls erfährt man, dass der oder diejenige zeitlebens homophob aus Überzeugung war – also einer von denen, vor denen man überhaupt in seine innere Welt fliehen musste. Und so jemandem hat man einen Platz an seinem Rückzugsort, ja, in seinem Herzen gewährt?
Das fühlt sich nicht bloß wie ein Verrat an. Es zieht einem das Sicherheitsgefühl wie einen Teppich unter den Füßen weg. Es ist, als würde man nach einem Einbruch zum ersten Mal wieder allein in der versehrten eigenen Wohnung schlafen: Grenzen wurden überschritten, Barrieren verletzt, die Illusion der Geborgenheit zerstört. Man fühlt sich in seinem Safe Space nicht mehr sicher.
So geht es mir oft bei der Recherche über die persönlichen Hintergründe jener Menschen. Gelegentlich wünsche ich mir, ich hätte nie mehr über sie erfahren und das Bild, dass der junge Ben sich über sie gemacht hat, unangetastet gelassen.
Medienschaffende haben eine Verantwortung ihren Konsumenten und Fans gegenüber. Es ist unser Job, dafür zu sorgen, dass sie sich bei uns sicher und willkommen fühlen und dass sie das ohne Angst und schlechtes Gewissen tun dürfen. Wenn wir dafür in ihren Augen jemand sein müssen, der wir nicht sind, ist das ein kleiner Preis. Wer ihn nicht zu zahlen bereit ist, hat in einer solchen Position nichts verloren.